Interview mit Anna Yona: Mompreneur & Gründerin von Wildling Shoes

Vor einigen Wochen war ich bei einem Treffen der Mompreneurs in und um Köln und traf dort Anna Yona, Miterfinderin von Wildling Shoes. Eine Mompreneur ist eine Mutter, die ein eigenes Business hat, oder freiberuflich arbeitet.

Bei diesem Treffen waren tolle Frauen, mit Ideen, Esprit und ganz viel Engagement. Anna stellte kurz ihr Unternehmen vor – sie stellt Schuhe für Kinder her. Gibt es doch schon? Klar, aber ihre Schuhe sind besonders: Die Kinder laufen darin wie barfuß. Und weil ihre Crowdfunding-Kampagne so super anlief, gibt es die Wildling Shoes jetzt bis Größe 41. Ich fand diesen Schuh toll und Anna kam sehr sympathisch rüber und so dachte ich: Diese Frau muss ich Euch vorstellen.

Anna kommt aus Deutschland, studierte und lebte einige Jahre in Israel, ist verheiratet und hat drei Kinder, die 7, 5 und 2 Jahre alt sind. Seit April 2013 ist sie mit ihrer Familie (wieder) in Deutschland.

Die Erfinder*innen der Wildling Shoes: Anna und Ran Yona

Anna und Ran Yona

Hallo Anna. In meinem Blog geht es um Familie, Feminismus und Fernweh und grade zu Letzterem kannst Du was erzählen. Was führte Dich nach Israel?

Nach der Schule bin ich viel gereist und habe gejobbt um die Reisen zu finanzieren. Ich war lange in Südamerika. Dort habe ich viele Israelis kennengelernt und naja, da war auch ein Mann. Ich hab also gedacht, man müsste mal dort hin, also nach Israel. Zu der Zeit ging es dort aber mit der zweiten Intifada hoch her und das hat mich abgeschreckt.

Dann hatte ich aber ein Erlebnis, das mir die Augen geöffnet hat: Ich wollte Journalistin werden, habe bei einer Zeitung in Ecuador ein Praktikum gemacht und dann das Angebot bekommen, in Kolumbien einen Kopf der FARC-Guerillas zu interviewen. Ich habe meine Angst beiseite gepackt und bin hingefahren. Auf dem Weg ins Camp bin ich mit dem Pferd sehr schwer gestürzt. Im Krankenhaus habe ich mir dann gedacht: Ich bin nicht entführt worden, ich bin nicht erschossen worden – ich bin einfach dämlich vom Pferd gefallen! Was passieren kann mir überall, also was soll’s – und so fuhr ich nach Israel. Während des Studiums – ich habe Geschichte des Nahen Ostens und Englische Literatur studiert – habe ich meinen Mann kennen gelernt. Er war mein Nachbar. Den Abreisetermin habe ich also immer verschoben und bin dort geblieben.

Du bist verheiratet und hast drei Kinder in Israel bekommen. Wie hast Du Schwangerschaft/Geburt/Muttersein dort erlebt, was schien Dir anders im Vergleich z.B. zu Deinen deutschen Freundinnen?

Die Vorsorge in Israel geschieht beim Frauenarzt, Hausbesuche einer Hebamme – vor und nach der Geburt – gibt es nicht. Viele Frauen wählen deshalb die Begleitung einer Doula bis zur Geburt (wenn sie sich das leisten können). Die Geburt findet meist im Krankenhaus statt, dort wird man währenddessen von der diensthabenden Hebamme betreut – der Arzt kommt erst dazu, wenn es Probleme gibt. „Natürliche Geburten“, also Geburten ohne Einsatz von Schmerzmitteln etc. sind aber sehr selten, viele Kinder werden auch per Kaiserschnitt zur Welt gebracht – ähnlich wie hier. Geburtshäuser und Hausgeburten sind die absolute Ausnahme.

In Israel steht Familie viel mehr im Zentrum! Man trifft sich häufig Freitagabend mit der ganzen Familie zum Shabbat. Ob man Kinder hat oder nicht ist keine Frage, es ist eigentlich selbstverständlich. Die Leute heiraten früher und bekommen auch früher Kinder. Wenn ein Paar keine Kinder hat liegt das in der Regel daran, dass sie keine Kinder bekommen können. Wer sich tatsächlich bewusst gegen eigene Kinder entscheidet, muss die Fragen Wildfremder über sich ergehen lassen – bis hin zum Taxifahrer, der einem ganz schnell den richtigen Partner verschaffen will. Der Kinderwunsch wird in Israel staatlich gefördert, z.B. durch Finanzierung von medizinischer Hilfe.

In Sachen finanzieller Förderung oder Kinderbetreuung ist Israel aber eher widersprüchlich. Als junge Familie ist es wirtschaftlich sehr schwierig – Mieten, Lebenskosten und Kinderbetreuung sind teurer, während die Löhne meist niedriger sind.

Die meisten Frauen in Israel gehen recht früh nachdem sie Kinder bekommen haben wieder arbeiten, es gibt nur wenige in der säkularen Gesellschaft, die Hausfrau und Mutter werden.

Ich selber blieb zu Hause, habe aus dem Home Office gearbeitet, meist ein paar Stunden pro Tag. Ich wollte meine Kinder nicht in Betreuung geben bevor sie drei Jahre alt sind. Dadurch war ich aber auch recht alleine, weil mein Mann viele Stunden pro Woche in unserem Unternehmen – einem Fitness- und Laufstudio – verbracht hat.

Wie hast Du hier in Deutschland die Rezeption der Studie zu #regrettingmotherhood erlebt, die ja aus Israel stammt? Hast Du Ideen, warum sie hier so eingeschlagen ist? Siehst Du die Studie vor einem anderen Hintergrund?

Einige der Befragten kamen aus religiösem Hintergrund und das ändert den Kontext sehr. In der religiösen Weltauffassung ist das Kinderkriegen keine individuelle Entscheidung, sondern etwas, das von einer Frau erwartet wird. Sie kann sich die Frage „will ich überhaupt Mutter sein“ zu keinem Zeitpunkt stellen.

Ich denke, dass die Ergebnisse der Studie in der deutschen Diskussion etwas verzerrt worden sind. Muttersein bedeutet nicht, ständig auf der rosa Wolke zu schweben – es gibt auch viele Graustufen. Diese schwierigen Momente und auch die kurzzeitigen Zweifel anzuerkennen und zeigen zu dürfen empfinde ich als sehr wichtig. In der israelischen Studie ging es aber um mehr, als nur „mal“ unglücklich zu sein..

Wie kam es dazu, dass ihr nach Deutschland zurück kamt?

Bis ein Jahr vor dem Umzug war ich überzeugt, dass ich dort nie weg gehe, weil ich das wunderschöne Land und auch viele wunderbare Menschen dort lieben gelernt habe. Aber die politische Realität ist mit Familie sehr bedrückend. Für die Kinder ist Krieg dort Realität, nach der Schule wartet der Wehrdienst. Auch der gesellschaftliche Tenor, ein allgegenwärtiger Rassismus (der oft einfach auf Angst beruht – man siehe die Reaktion auf die Flüchtlingssituation gerade in Deutschland) und eine Erziehung und Tradition, die um das Selbstbild als Opfer kreisen, ist nicht gerade etwas, das wir uns als Realität für unsere Kinder gewünscht haben. Israel ist eine Nation, die seit Generationen mit Traumata lebt – fast jede Familie ist davon betroffen. Der Holocaust, Kriegserfahrungen, der Verlust von geliebten Mitmenschen – das gehört zum israelischen Alltag dazu, wird aber viel zu oft unter den Teppich gekehrt. Angst und seelische Verletzungen können dann von der Politik viel zu schnell ausgenutzt werden, um Wähler zu gewinnen und von ihren korrupten Machenschaften abzulenken. Auch religiöser Fanatismus hatte dort immer mehr Einfluss – insgesamt eine Situation, die nicht mehr auszuhalten war. Treibende Kraft war mein Mann, der für unsere Kinder in Israel keine Zukunft gesehen hat.

Wildling Shoes - Anna und Familie

Wildling Shoes – Anna und Familie

Wie kam es dann zu den Wildling Shoes und wie war Eure erste Zeit in Deutschland?

Mein Mann ist Sporttherapeut und überzeugter Barfuß-Läufer – er hat dafür gesorgt, dass unsere Kinder (trotz meiner unberechtigten Sorgen) von Anfang an barfuß gelaufen sind. Er ist leidenschaftlicher Sportler, hatte aber Schwierigkeiten, mehr als 5km schmerzfrei zu joggen. Nachdem er sein Lauftraining auf barfuß umgestellt hatte, war er gern mal mehrere Stunden laufend unterwegs – ohne jedes Problem. Er hatte tolle Erfolge auch andere zum Barfußlaufen zu animieren. Auch Leute mit Knie- und Rückenproblemen, die vom Arzt bescheinigt bekommen hatten, dass sie nie wieder joggen können, konnten barfuß völlig schmerzfrei laufen. Die logische Schlussfolgerung war, das Problem bei den Schuhen zu suchen.

Für Kinder gibt es überhaupt keine Auswahl sinnvoller Schuhe – von Geburt an gesunde Füße, werden so systematisch kaputt gemacht. Für unsere Zeit in Deutschland stand fest, dass wir einen besseren Kinderschuh entwickeln. Nach fast zwei Jahren Arbeit sind wir jetzt so weit, dass wir mit Wildling Shoes auf den Markt gehen können.

Die Wildling Shoes sind erfrischenderweise nicht hellblau für Jungs und rosa für Mädchen, sondern unisex (und vegan sind sie in der Regel auch, aber dazu könnt ihr mehr auf der Website erfahren). War das Absicht?

Das war auf jeden Fall Absicht – ich finde die Farbcodes für Kinder schrecklich. Kinder sollen tragen dürfen, was sie wollen, und punkt.

Unsere Tochter hatte in der Kindergartenzeit eine echte Prinzessinenphase und wollte am liebsten nur Pink und Glitzer tragen. In Ordnung – solange sie kein Problem hat, auf Bäume zu klettern, weil sie Angst hat, sich den Rock zu zerreißen. Auch Räubertöchter können Rüschen tragen.

Das Problem habe ich eher bei unserem Sohn gesehen. Der fand nämlich Pink auch super, aber hat sich nicht getraut es zu tragen, weil das ja „Mädchenfarben“ sind. Das hat mich geärgert. Aus diesem Grund machen wir Schuhe ohne Farbcode und sagen ganz klar – die kann jeder tragen, und auf Wunsch z.B. mit farbigen Schnürsenkeln der derzeitigen Lieblingsfarbe des Kindes anpassen.
Wir haben schon ein paar Ideen, um den Farbcode noch weiter zu brechen. Dazu gibt es in der Kindermode schon spannende Ansätze, aber die sind immer noch auf Mädchen fokussiert – dabei haben Mädchen (und Frauen) die viel größere Auswahl. Jungen sind in der Farb- und Formwahl sehr eingeschränkt – wenn wir später dazu beitragen können, das zu ändern, wird mich das sehr freuen!

Viele Frauen haben Schwierigkeiten im Job, wenn sie Mütter werden oder sind. Ich würde auch gern mal den Blick darauf richten, wer und was Dich bei Deiner Erfolgsgeschichte mit den Wildling Shoes unterstützt?

Ganz klar einmal mein Mann, der von der Idee bis zur Entwicklung dabei war, aber mir ohne Murren die Kommunikationsarbeit überlässt und sich um die Kinder kümmert. Er schmiert die Brote, bringt die Kinder zur Schule und macht Mittag, er kümmert sich ums Haus und die Wäsche. Damit hat er überhaupt kein Problem. Eine große Hilfe sind natürlich auch meine Eltern, die da sind, wenn mein Mann und ich gemeinsame Termine haben und was besprechen wollen. Außerdem ist da auch das Mompreneurs-Netzwerk, das den Blick oft auf die schönen Seiten der Selbstständigkeit lenkt.

Liebe Anna, vielen Dank für das Interview. Viel Erfolg mit den Schuhen für wilde Kinder und bis bald!

Zu kaufen gibt es die Wildling Shoes (falls man in der Crowdfunding-Kampagne keine mehr bekommt) regulär ab Dezember im Shop von Wildling Shoes. Ihr könnt sie aber bereits vorbestellen, in den Größen 23-41.

 

Wildling Shoe

Wildling Shoes

Anna am Strand

Anna am Strand

Anna mit Kindern in Israel

Anna mit Kindern in Israel

Anna & Familie in Israel

Anna & Familie in Israel

 

 

 

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