Ich habe mir immer vorgenommen, Tacheles mit meinen Kindern zu reden. Keine Bienen und Störche wenn es ums Kinderkriegen geht, keinen Gott und Himmel wenn es um den Tod geht – nur mal so als Beispiel. Natürlich wollte ich auch nicht zu viele Details oder Komplexität. Sondern einfach sachlich, kindgerecht und möglichst nah an der Wahrheit bleiben.
Die Uroma ist tot
Im Frühjahr, da war Minime grade 4 Jahre alt, starb seine Uroma. Sie hatte das, was man ein stolzes Alter nennt, sie starb nicht überraschend. Man war traurig, aber gefasst. Wir wollten zur Beerdigung und wir wollten Minime mitnehmen. Ich halte nichts davon, Kinder von Beerdigungen auszuschließen (gewisse Umstände mal abgesehen).
Die Beerdigung fand in einem Wald statt. Die Uroma wollte verbrannt werden und ihre Urne sollte, wie schon die ihres Mannes, unter einem Baum beerdigt werden.
Wir sprachen mit Minime vorher: Die Uroma ist tot. Sie war sehr alt und dann müssen Menschen sterben, damit Platz für neue, kleine Menschen ist.
Vieles über den Tod wusste Minime schon aus dem Buch „Und was kommt dann? Das Kinderbuch vom Tod“ von Pernilla Stalfelt. Ich mag das Buch, weil es sachlich, kindgerecht und fast witzig dieses Thema angeht.
Die Beerdigung nahm Minime gelassen hin. Wir erklärten ihm, dass Uroma nicht mehr wiederkommt und ab jetzt unterm Baum bleibt. Minime nickte, wiederholte und hörte ruhig den Reden zu Uromas Begräbnis zu.
Die eigene Vergänglichkeit begreifen
Die Beerdigung ist jetzt ein halbes Jahr her. Seitdem sprach Minime nicht mehr darüber. Oder über Sterben und Tod generell. Außer in dieser unbedarften Art, in der Kinder manchmal spielen und die uns ganz furchtbar erscheint. Dann kommt Minime mit irgendwas wie einem Stock, der für ihn ein Schwert oder eine Pistole ist und ruft: „Mama, Papa, ich schieß euch und dann seid ihr tot!“.
Vor ein paar Tagen war Minime mit dem Mann beim Aufräumen im Kinderzimmer. Recht unvermittelt fragte er: „Papa, wirst Du auch mal ein alter Opa?“ Der Mann war etwas irritiert, aber antwortete „Ja, wahrscheinlich“ Da fing Minime an zu weinen.
„Papa, ich will nicht dass Du ein alter Opa wirst. Dann stürbst Du und wir haben keinen Papa mehr!“
Die beiden kamen zu Cashew und mir in die Küche. „Mama, ich will nicht dass Du eine alte Oma wirst und stürbst, dann haben wir keine Eltern mehr!“ Er war völlig aufgelöst, kletterte auf meinen Schoß, ihm liefen die Tränen über das Gesicht.
„Und ich will kein alter Opa werden und sterben!“
Er tat mir so leid. Ich weiß nicht, wie er grade beim Aufräumen des Zimmers diese Erkenntnis hatte, das alle Lebewesen sterben müssen und das Sterben etwas Unwiderrufliches ist, aber ich merkte, das ihm genau das bewusst geworden ist.
Ich erinnerte mich, dass ich selber als Kind, so mit sechs oder sieben heftig unter dieser Erkenntnis gelitten habe. Bei mir war es das Schlagen meines Herzens und das Rauschen meiner Schlagader die ich hörte, wenn ich mit dem Ohr auf dem Kissen lag, die mich begreifen ließen: Wenn ich das nicht mehr höre, bin ich tot.
Und ich brachte es beim besten Willen nicht übers Herz, bei meinem Vorsatz zu bleiben, stehts bei der Wahrheit zu bleiben. Ich griff also zur Notlüge, drückte ihn ganz fest und versprach:
Schatz, hier stirbt erstmal Niemand! Versprochen!
Wie geht ihr mit dem Thema Tod um? Und wann habt ihr schon mal zu Notlügen gegriffen?
Hallo Melanie,
ich kenne das. Als meine Mutter starb, war unsere Große gerade 2½, die Kleine 5 Monate. Auch wir hatten beide bei Trauerfeier und Urnenbeisetzung dabei. War in dem Alter auch noch nicht so das Thema. Manchmal tat es mir sogar weh, wie sie die Oma so gar nicht vermissten.
Jetzt sind es bald 3 Jahre und vor etwa einem knappen Jahr ist der Großen aufgefallen, dass da nur eine Oma aber zwei Opas sind. Auch wir sind offen damit umgegangen. Beide (auch die Kleine fragt seit einigen Wochen manchmal nach) wissen, dass die Oma eine ganz schwere Krankheit hatte, gegen die die Ärzte einfach keine Medizin gefunden haben. Und sie wissen auch, dass Menschen manchmal so schwere Unfälle haben, dass die Ärzte nicht mehr helfen können (wie ihr Onkel) und natürlich auch, dass Menschen alt und einfach schwach und müde werden (wie Uroma & Uropa).
Auch bei uns kommt dann manchmal ganz überraschend das Thema wieder hoch. Oft nur mit nochmaligen Verständnisfragen à la „Nicht wahr, die Oma war ganz doll krank und die Ärzte hatten keine Medizin“ ganz selten auch mit „Muss die andere Oma/Müsst ihr auch sterben?“ Wir antworten dann idR mit einem „Ja“ und dem Zusatz „aber wir hoffen, dass das noch ganz lange dauert, denn wir wollen ja noch eure Kinder kennen lernen“. Das ist für sie dann OK.
Allerdings arbeiten wir auch mit der Vorstellung, dass Oma & Onkel als Stern im Himmel noch irgendwie da sind und uns helfen auf sie aufzufassen.
Huhu, sonst lese ich ja immer gerne und still mit, aber da mag ich Gedanken zu teilen.
Bei uns war das ähnlich. Das mit der schrecklichen Angst, daß Eltern auch jederzeit sterben können.
Und mir kommt Deine Aussage, daß „hier erstmal niemand stirbt“, nicht wie eine Notlüge vor.
„Hier. Und erstmal.“
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß dieses Thema immer wieder kommt, immer neu beleuchtet wird.
Und das es okay ist, seinem Kind zu sagen, daß einem der Tod auch Angst macht. Das der Tod meist Trauer bedeutet.
Aber das es gut tun kann, darüber zu reden. Und wichtig ist, darüber zu reden.
Unserem Küken bringt ein wenig Trost, daß alles, was stirbt, zu neuem Leben wird. Sogar Sonnen/Sterne. Und das wir alle aus Sternenstaub gemacht sind.
Und es aus einem Teil von uns, Wir also nie wirklich weg sein werden, selbst, wenn wir sterben.
Schöner Artikel und auch schöne Kommentare bisher. Joa, keine Ahnung, wenns mal aktuell wird, hoffe ich, damit so souverän umzugehen wie Ihr und nicht verlegen rumzustottern. Bestimmt gut, wenn man sich da schon vorher was überlegt, was einfühlsam, kindgerecht aber nicht zu platt ist..
Ja, sich vorher was überlegen ist gut. Aber irgendwie ist die Situation dann doch meist anders als erwartet 🙂
Wir waren in diesem Sommer auch zusammen bei der Beerdigung meiner Oma. Das hat Fritzi in den Wochen darauf sehr viel beschäftigt und sie hat auch irgendwann exakt denselben Satz gesagt wie Minime und dabei sehr verzweifelt geweint. Ich hab dann auch versucht zu vermitteln, dass es noch sehr lange dauert, bis ich ein alter Opa bin und dass bis dahin noch ganz viele Dinge passieren, über die wir uns zusammen freuen. Ich fand es bzw. finde es in diesen Gesprächen mit ihr aber auch wichtig, sie nicht anzulügen, das irgendwie ernst zu nehmen und gemeinsam darüber zu sprechen, dass das bestimmt ganz doll traurig werden wird. Ich finde es natürlich manchmal ganz schrecklich, wenn Fritzi so traurig ist, aber irgendwie versuche ich auch, nicht so viel Angst vor Traurigkeit zu haben. Und dann ist es manchmal auch irgendwie schön, zusammen vor dem Einschlafen im Bett zu liegen, gemeinsam traurig zu sein und zu weinen und dabei rumzustammeln, ratlos zu sein und sich eben auch nicht alles genau erklären zu können, wie es sein wird, wenn eine_r von uns nicht mehr da ist.
(Geholfen hat uns in unseren Gesprächen auch die Größe unserer Familie, dass Fritzi ne Schwester hat und dass es so viele Menschen gibt, die so eng da sind und füreinander Verantwortung übernehmen, wenn auch natürlich in unterschiedlichen Beziehungen zueinander. Dadurch gibt es bei aller Traurigkeit darüber, was passiert, wenn ihre Eltern nicht mehr da sind, zumindest nicht so sehr die Angst irgendwann ganz alleine dazustehen.)
Hm, schwieriges_wichtiges Thema und ich merke, dass auch mir das Thema Sterben näher geht, seit die Kinder da sind…
Soweit meine Gedanken – liebe Grüße
Jochen
Ja, vielleicht hätte ich in dem Moment einfach ehrlich sein sollen. Aber ich glaube, das heb ich mir noch ein, zwei Jahre auf. Denn das Thema kommt garantiert wieder. Und dann bin ich besser vorbereitet.
Achso, ich hatte deinen Satz auch gar nicht so als Lüge empfunden, sondern eher analog zu meinem „das dauert noch sehr lange bis…“ als einen von zwei wichtigen Aspekten. Und ja, für den zweiten Aspekt kommen noch weitere Gelegenheiten.