Aktuell nehme ich am Online-Bildungskongress teil. Nach Registrierung per E-Mail stehen Euch noch bis zum 27. März verschiedene Videos und Interviews online kostenfrei zur Verfügung (jeweils für 24 Stunden), wer anschließend auf die Videos zugreifen will muss/kann sich das Kongresspaket kaufen. Ein Schwerpunkt liegt bei diversen alternativen Lernformen, Freilernen und Unschooling aber auch verschiedene Hintergrundinfos über die Bedingungen für gelingendes Lernen oder Erfahrungsberichte von Schüler_innen, die das klassisische Schulsystem verlassen haben (und Spoiler: aus denen trotzdem was geworden ist ;-)). Ich kann Euch nur empfehlen, hinein zu schauen. Initiiert wurde das ganze von Lena Busch, die unter Anderem den freilern-Blog betreibt.
Auf meiner To-Do-Liste für dieses Jahr steht neben vielen Dingen: Frau St. einen (Dankes-)Brief schreiben. Frau St. ist meine Grundschullehrerin und vermutlich im Besten Sinne daran Schuld, dass ich nie an meiner Intelligenz gezweifelt habe. Ich vermute ohne sie wäre ich in diesem Schulsystem ganz schön unter gegangen und ich bin ihr ewig dankbar, dass sie ein so unerschütterliches Fundament für meine Zukunft legte. Die Lehrerin meiner Schwester zum Beispiel (an der gleichen Schule und bei mir für den Kunst- und Sportunterricht verantwortlich) schüchterte mich ziemlich ein. Ich kann mich erinnern, dass ich mal vor ihr stand und sie zu mir sagte: „Du stinkst!“ Im zarten Alter von vielleicht 8 Jahren hatte ich keine schlagfertige Antwort, ich filterte da auch nichts. Die Botschaft war, ich stinke. Aus. Ja, es könnte sein, dass ich am Tag vorher beim Zahnarzt war und vielleicht etwas entzündetes Zahnfleisch hatte. Aber sah ich diesen Zusammenhang? Hatte sie nachgefragt? Nein.
Das war nur eine von wenigen Demütigungen und Stressfaktoren meiner Schulzeit. Der Unterricht ging noch. Wie gesagt, meine Grundschullehrerin war ein empathischer Mensch und auch wenn es mir bis heute unverständlich ist, wie man 24 Sechs- bis Zehnjährige im Griff haben kann, bei ihr ging niemand unter. Wenn ich mich langweilte, gab sie mir Zusatzaufgaben, wenn ich ihr erzählte, ich hätte meine Hausaufgaben nicht gemacht, weil ich noch ein Buch zu Ende lesen wollte nahm sie es gelassen.
Meine Ungeduld war Schuld, dass meine Werke in Kunst/Textil nie fertig wurden – irgendwo war ein Knoten oder eine ungrade Linie und ich wollte alles wegschmeißen. Frau St. kommentierte also meine sauschlechte Note in diesem Fach auf dem Zeugnis mit: Die Note kommt zustande aufgrund nicht abgegebener Arbeiten. Trotzdem blieb bei mir hängen: Für Kunst und Handarbeiten unbegabt.
Viel Energie kostete mich auch das soziale Drumherum. Nichts war wichtiger, als die Frage wer wie beliebt ist. Ja, schon in der Grundschule. An einem der ersten Tage ging eine Klassenkameradin mit einem Stempel rum, den sie allen auf die Hand drückte und sagte: „Du bist jetzt in meiner Bande!“ Ich wollte nicht in ihrer Bande sein – ich kannte sie doch gar nicht! Also blieb ich erst mal alleine.
Jaja, ist gut. Alle mal Ooooh und ne Runde Mitleid und weiter im Text.
Das Gymnasium war nicht viel besser. Meine Noten waren ok, aber sehr „variabel“. Auch hier hing viel von den Lehrpersonen ab. Also für mich. Interesse hatte ich an vielem, aber Frontalunterricht und das ständig mitschwingende Grundthema WerIstMitWemBefreundetHatDieCoolstenKlamottenUndMachtNachmittagsWasMitWem raubten mir Energie.
Machen wir es kurz: Schule als Lernort war nie mein Ding. Lernen selber hat mir – bis heute – Spaß gemacht, sofern ich mich für ein Thema interessiere oder seine Notwendigkeit begreife. Schule hat meine Lernbegeisterung aber sehr gebremst. Wusstet ihr, dass Deutschland eines der wenigen Länder mit Schulpflicht ist? In den meisten Ländern gibt es eine Bildungspflicht, aber keine Schulpflicht. Auch etwas, was ich im Online-Bildungskongress gelernt habe.
Nächstes Jahr steht Minime vor der Einschulung. Das Thema Schulwahl sehe ich gespannt bis gelassen. Ich glaube nicht, dass es was bringt, sich viele Schulen anzusehen. Eine kurze google-Recherche hat ergeben, dass es in Köln nicht besonders viele freie Schulen gibt. Die hiesige Waldorfschule ist mir nicht besonders sympathisch und ich werde der nächstgelegenen städtischen Grundschule einfach mal eine Chance geben. Wichtiger noch als jedes Schulkonzept ist meiner Erfahrung nach die Lehrperson. Und die kann man sich in den wenigsten Fällen aussuchen.
Freies Lernen oder Unschooling im engeren Sinne hieße – aufgrund der Schulpflicht – Deutschland verlassen zu müssen und das kommt für mich nicht unbedingt und für den Mann auf keinen Fall in Frage. Aber der Kongress macht mir Mut, meinem Gefühl zu vertrauen, sollte sich eines der Kinder auf den Regelschulen nicht wohl fühlen. Er zeigt andere Wege der Bildung und das man Kindern in ihren Lernbedürfnissen vertrauen kann. Und daraufhin habe ich mir gleich ein paar Bücher bestellt, damit ich mich weiter in das Thema einlesen kann.
Wie sind Eure Erfahrungen in Sachen Bildung/Einschulung und die Eurer Kinder in den Schulen?
Liebe Melanie!
Oh ja, das Thema Schule-ein schwieriges! Unser Großer war letztes Jahr kann-Kind mit Geburtstag Ende August. „Sozial“ und körperlich nicht unbedingt zu den Großen zählend, schüchtern, schnell frustriert. Aber: er konnte lesen und schreiben und lernte seine ersten Worte Englisch. Nach viel hin und her haben wir uns für die Einschulung entschieden. Und für die lokale Grundschule mit selbstständigem Schulweg, gegen die Reformschule mit hohem logistischen Aufwand, wenig Eigenständigkeit und ihren ganz eigenen Tücken.
Die Einschulungsveranstaltung fanden wir schon furchtbar, der Brief, den die Kinder in den Ferien basteln sollten und auf den das Kind so stolz war, weil er ihn komplett geschrieben hatte wurde tagelang nicht beachtet und das Kind ging wochenlang unter Tränen in die Schule. In den Herbstferien gab es sehr viel Hausaufgaben, wir erledigten sie nicht und ich schrieb einen Brief mit Verweis auf das hessische Schulrecht. Antwort: „pädagogische Gründe“, „keine Ausnahme“. Dem Kind (wie erwähnt ja außerhalb der Familie nicht grad ein Rebell) wollte die Aufgaben unbedingt nachholen, aus Angst vor den Konsequenzen.
Die Lehrerin vetraute mir wenig später an, sie sei total über fordert mit „der schlimmsten Ersten, die sie jemals hatte“. Ich fand, sie schaffte sich ihre Probleme vor allem durch ihre Unflexibilität zum wesentlichen Teil selbst.
Der CVJM verteilte Werbung, die auch noch „Jungs-Action-Treff“ und Plätzchenbacken für die Mädchen bewarb und die stellvertretende Schulleiterin hatte das immerhin bemerkt und „auch schon belächelt“.
Mittlerweile bin ich eher unfreiwillig Schulelternberätin und sehe mit Entsetzen, wie wenige Eltern bereit sind, sich zu engagieren.
Tja, und das Kind? Hat sich mittlerweile trotz allem gut sortiert, hat seinen Platz dort und möchte nicht weg. Lacht aber mit mir, wenn ich vorschlage, er solle seine Handarbeitlehrerin fragen, ob sie mit der Scheide arbeite weil sie ihm sagt „er könne das nicht so gut, weil er ein Junge ist“.
Also: ich finde diese Schule (fast) rundum furchtbar, die Lehrmethoden antiquiert und mit der Lehrperson hatten wir auch kein Glück. Trotzdem ist das Kind nach einer kurzen, schmerzhaften „Einleb“-Phase dort nicht unglücklich. Er langweilt sich nach eigenen Angaben auch selten, obwohl z.B. beim Lesen (er liest schon komplett wie wir) für ihn sicher Unterforderung da ist. Aber so hat er vielleicht die Extra-Pausen, die er noch braucht. Oh, und zwei Dinge gilt es auch nicht zu vernachlässigen:
1. Das Kind lernt andere Lebenswelten kennen, keine Akademikerblase mehr. Das bedeutet einen rauen Umgangston auf dem Schulhof, aber auch internationales Essen auf Schulfesten. Und führt zu häuslichen Gesprächen darüber, warum Muslime kein Schweinefleisch essen (hätte das Kind sonst nicht die Bohne interessiert) und wieviel Fernsehen ok für Kinder ist
2. Ghetto ist auch keine Lösung! Wir bringen ein bisschen Akademikerblase an eine Schule, die einen deutlichen Überhang an „soziales Problem“ hat.
In diesem Sinne: probiert es aus!
Liebe Grüße, Lisa