Vom Urlaub in den OP

Es gibt so Sachen die braucht man nicht.

Vom Urlaub in den OP

Vom Urlaub in den OP

Stau zum Beispiel. Hatten wir jetzt auf der Rückfahrt vom Urlaub. Und Routen, die nicht funktionieren, weil Putin in Slowenien ein Kriegsdenkmal einweiht. Was wir auch erst erfuhren, als wir an der Grenze zu Slowenien unsere Pässe vorzeigten. Das Navi führte uns über Italien nach Österreich. Und dort aber nicht zurück auf die Autobahn, sondern auf die Landstraße. Serpentinen. Alles, weil ein Tunnel gesperrt war. Aber zu der Rückfahrt und zum Kroatienurlaub generell demnächst.

Was man noch weniger braucht als Stau ist ein Oberarmbruch. So sieht es wohl Kind1. Denn der ist gestern, am ersten Tag nach dem Urlaub, vom Spielgerüst gefallen und hat sich einen zugezogen.

„Papa, guck mal was ich kann!“

Kind1 wollte einen beeindruckenden Sprung hinlegen – das hat er dann auch geschafft.

Und ich? Ich saß noch bei der Arbeit. Genau genommen an der Straßenbahnhaltestelle, 10 Minuten Fußweg von meiner Arbeitsstelle. Eigentlich wollte ich morgens das Fahrrad nehmen. Das war aber nach dem Urlaub so halb platt, was ich erst vor der Haustür merkte. Ich fuhr also nicht die ganze Strecke sondern nur bis zur Straßenbahnhaltestelle. Dann die Bahn.

Als ich Feierabend hatte fuhr die Bahn nicht. Weil irgendwo ein Volli*** auf den Gleisen parkte. Als ich den Mann anrief um mitzuteilen, dass sich meine Rückfahrt verzögerte war die Welt noch in Ordnung. Nachdem ich mir vorm Urlaub die kindle-app aufs Handy geladen hatte und ein paar eBooks dazu war in solchen Fällen alles super. Überraschende Wartezeit? Handy raus, lesen. 10 Minuten später rief der Mann an. Huch, der ist aber ungeduldig! wunderte ich mich. Als ich abnahm hörte ich lautes, schrilles Gebrüll. Ich dachte an Kind2, denn die Stimme war hoch. Kind1 hat noch nie so geklungen, aber er wars. „Er hat sich den Arm gebrochen, Rettungswagen ist unterwegs, Kind2 ist bei A.“ – „Ich komme, nehm mir ein Taxi, sag Bescheid wo man euch hinbringt, ich hole Kind2 ab“. Ich weiß jetzt also, wieviel das Taxi von der Arbeit nach Hause kostet. Knapp 30€.

Ich sagte A. noch kurz, dass ich den Autoschlüssel aus der Wohnung hole (damit wir dann schnell ins Krankenhaus fahren können) und ich in 10 Minuten da sei. A. antwortete ich könnte langsam machen, der Rettungswagen wäre immer noch da.

Was? Wieso? Ich stand vorm Rettungswagen und klopfte. Jemand machte auf, sagte: „Eine Minute noch“ und schloss die Tür wieder. Ich hörte Kind1 drinnen wimmern. Naja, etwas lauter als wimmern.  Die Tür ging wieder auf.

Kind1 lag auf der Liege, der Mann an seiner Seite, selber etwas weiss um die Nase. Zwei Männer und eine Frau standen auch noch im Wagen, es war eng. Man beruhigte mich direkt, der glasige Blick von Kind1 käme von den Schmerzmitteln.

Mit Sirene ins Krankenhaus

Kind1 stöhnt immer mal wieder auf vor Schmerzen. Offensichtlich will der Notarzt sich langsam „randosieren“. Bei Kindern sind scheinbar viele unsicher und – glücklicherweise – sehr vorsichtig. Der Krankenwagen will los. Einer von uns muss da bleiben und auf Kind2 aufpassen. Ob es blöd war oder nicht, ich fragte Kind1 selber, wer mitkommen soll. „Mama“ wimmerte es. Ich fand es ja was unfair gegenüber dem Mann, der die ganze Zeit dabei war, aber jetzt wo die Frage gestellt war, sag ich doch nicht nein. Wir fuhren los, zwischendurch sogar mit Sirene. Ich versuche Kind1 aufzuheitern: Wow, guck mal, jetzt liegst Du mal in einem Krankenwagen mit Sirene – aber entweder er registriert es nicht oder es ist ihm egal. Wir werden in die Uniklinik gebracht, wo man sich gleich um uns kümmert und auch eine Ärztin wartet, die mit den Schmerzmitteln was großzügiger ist. Und die scheint er nötig zu haben. Die Schwester sagt: „Ich muss jetzt aufschneiden“ und ich denke WAAAAAS? aber sie meint nur das T-Shirt. Ich winke ab, ist mir doch egal. „Wir müssen vorher fragen“ sagt sie entschuldigend.

Jetzt seh ich den Arm und, äh, ich bin hart im Nehmen aber das der gebrochen ist seh ich auch aus dem Augenwinkel. Scheinbar ist er auch nicht einfach gebrochen, es wird schon spekuliert dass da operiert werden muss. Es ist inzwischen 19 Uhr ungefähr. Die Beruhigungsmittel wirken langsam. Jemand gibt Kind1 einen Teddy, vom Verein Trostteddy e.v. dem ich noch einen Extrabeitrag widmen werde. So eine schöne Idee, Kind1 klemmt ihn sich direkt unter den nicht gebrochenen Arm.

Trost-Teddy

Der Trost-Teddy. Zugegeben nicht ganz meine Farbe aber eine wunderbare Idee.

Ich darf noch mit in den OP, Kind1 sieht inzwischen doppelt. „Mama, Du hast zwei Münder!“ grinst er. Es ist Zeit, ich muss die kleine Hand loslassen. „Ich hole Dir ein Cola-Eis, bis gleich!“ notlüge ich. Ich fühle mich und Kind1 hier gut aufgehoben, alle sind wirklich nett, zu mir, zu Kind1.

Ich warte. Hole mir einen Kaffee. Mir doch egal dass es schon fast acht ist. Obs hier auch Schnaps gibt hab ich die Anästhesistin beim Rausgehen noch gefragt, aber die fand das nicht witzig. Oder hat nicht verstanden, dass es ein Witz sein soll, wer weiß mit wem die es sonst zu tun hat. Ich setze mich vor den Klinikeingang. Und so sehr ich auch Angst um meinen Sohn habe, blicke ich mich um und merke, dass dies auch eine Lektion in Demut und Dankbarkeit ist.

Ich schaue in Gesichter, die ganz andere Sorgen haben. Kleine Gesichter, große Gesichter. Ein Hubschrauber landet auf dem Dach. Ich gehe wieder rein, setze mich vor den OP-Bereich.

Sie müssen sich keine Sorgen machen!

Ich bin eigentlich ziemlich tapfer bei so was. Es ist ja nur ein Armbruch. Das kriegen die hin. Jemand schiebt ein paar Geräte über den Gang. Eine junge Schwester vermute ich. Sie schaut mich an, es ist spät, sonst nichts los auf den Fluren. „Warten Sie? Geht es Ihnen gut?“ Ich sage, dass mein Sohn operiert wird. „Machen Sie sich keine Sorgen, auch wenns länger dauern sollte. Gehen Sie ruhig was essen, man wird Sie anrufen wenn er fertig ist. Brauchen Sie sonst noch was?“

Mit so viel Fürsorge – für mich! – kann ich nicht umgehen. Ich bin es doch, die sich um ihren Sohn kümmern muss! Die für jemand anderen da sein muss. Mit dieser Form von Aufmerksamkeit kann ich nicht umgehen, das ist das erste Mal an diesem Abend, das mir die Tränen kommen.

Ich warte. Der Mann und ich überlegen per WhatsApp ob er über Nacht bleiben soll, wer auf Kind2 aufpassen könnte während er ins Krankenhaus fährt und ob ich morgen arbeiten gehe (Kind2 hat erst morgen seinen ersten Eingewöhnungstag in der Kita, wir bräuchten also auch noch einen Babysitter). Der Mann ist sehr bestimmt, ist doch wohl klar, dass ich nicht arbeiten gehe und ich denke mir auch irgendwie wahr, das hier ist grad wichtiger.

Ein Arzt kommt raus. Er erklärt mir, dass man noch den Oberarzt dazu rufen müsste, nichts Schlimmes, aber es ist komplizierter als gedacht. Röntgenbilder sind wohl nie so exakt, deshalb habe man erst bei der OP das ganze Ausmaß gesehen. Es kann also noch was dauern. Ich weiß nicht wie lange, aber dann kommt ein anderer Arzt raus. Er erklärt mir, was er am Oberarm von Kind1 gemacht hat. Es stecken jetzt Drähte da drin, die einige Wochen bleiben müssen. Klingt ziemlich gruselig, aber wenns hilft…

Endlich werde ich in den Aufwachraum geholt. Kind1 schläft. Zwischendurch zucken seine Gesichtsmuskeln. Der Mann kommt und wir warten das Kind1 aufwacht.

Ich rechne mit Schlimmen, schon  nach der Polypen- und Paukenröhrchen-Op vor knapp zwei Jahren war Kind1 beim Aufwachen sehr ungehalten. Klar, das überfordert. Er schaut sich verwundert um. Sein Hals tut weh, es ist ihm zu warm und es tut sooo weh! Ach Mensch, mein Großer!

Aber er kann auch anders:

Ich im OP-Kittel

Als er nach dem Aufwachen den Mann und mich in grünen Kitteln sieht, sagt er trocken: „Gut, dass ich das nicht anziehen muss“. Mein Sohn ❤ Sobald er schreiben kann, bekommt er nen Twitter-Account.

Den Schmerz kann man dem Kind nicht abnehmen

Der Mann und Kind1 werden zur Station gebracht, ich fahre nach Hause zu Kind2. Mein Adrenalin hält mich bis zwei Uhr nachts wach. Trotz alledem versuch ich es positiv zu sehen: Er hat den Urlaub heile überstanden (wo wir eher mit einem Armbruch gerechnet hätten. Dort gab es nämlich einen Spielplatz, der vom deutschen TÜV vermutlich direkt dicht gemacht worden wäre und zwei Trampoline, auf dem immer mehrere Kinder gleichzeitig hüpften) und bei dem Sprung hätte er sich vermutlich noch viel mehr brechen können. Die ersten provisorischen Tests zeigten auch, dass neurologisch erst mal alles in Ordnung zu sein scheint.

Das Schlimmste ist einfach, dass man dem Kind den Schmerz nicht abnehmen kann. Zu sehen, wie er – trotz ordentlicher Mengen Schmerzmitteln – einfach schmerzen hat ist das Fieseste an allem.

Heute Mittag bin ich mit Kind2 ins Krankenhaus gefahren. Der tolle Eindruck, den ich gestern vom Notfallteam hatte relativiert sich auf der Station der Kinderklinik etwas. Die eine Hand weiß nicht, was die andere tut, der Mann sagt, ärztliches Personal sei nicht zu finden und wir wüssten immer noch nicht, ob es heute nach Hause geht oder nicht. Ich sehe auch hier erst mal wieder das Positive: Wenn wir so „vergessen“ werden ist es wirklich nicht allzu schlimm. Medizinisch problematische oder interessante Fälle bekommen bestimmt mehr Aufmerksamkeit. Aber nervig ist es schon. „Sollte nicht noch geröngt werden?“ fragt eine reinkommende Schwester. Äh ja, wer soll das wissen, ich oder du? Sie fragt dann noch  mal nach. Richtig, es soll noch geröngt werden. Der Mann geht mit Kind1 zum Röntgen, ich versuche das mittagsschlaflose Kind2 davon abzuhalten in die anderen Patientenzimmer zu rennen.

Der Mann versucht nach dem Röntgen auch das Ergebnis in Erfahrung zu bringen. Es ist schwer jemanden zu finden, aber es heißt, Kind1 solle noch eine Nacht dableiben. Morgen früh wird der Verband noch mal gewechselt, alles genau untersucht, in der Hoffnung, dass nicht noch mal operiert werden muss.

Danke für die lieben Worte bisher auf den diversen Kanälen.

Der Mann nimmt es so gut er kann ebenfalls mit Humor. „Er ist grad eingeschlafen. Hier klingelt und piept es überall, als seien bei McD die Fritten fertig…“

Und damit Gute Nacht für heute.

Es war nur ein Armbruch, es war nur ein Armbruch, es war nur ein Armbruch…

3 Kommentare

Eingeordnet unter familie

3 Antworten zu “Vom Urlaub in den OP

  1. Oh man, ich hasse ja KH mit den KINDERN und finde du warst sehr tapfer. Hoffentlich dürft ihr heim und euch erholen. Ich denk an euch! Lg alu

  2. Susanne alias Lebeningruen

    Ohhh shit. Ich könnte den Text quasi 1:1 übernehmen. Ich war nur selber dabei u bin noch selber mit dem Auto ins KH. Der Rest so gut wie ident.
    Ich wünsche euch, dass alles gut wird und euch nur die OP zur Draht-Entfernung in einigen Wochen bevorsteht. Bei uns geht das ganze entweder im Herbst oder im Frühling in die nächste Runde und somit steht die 4. OP an.
    (( )) unbekannterweise fest gedrückte Daumen!!! @mue_mama

  3. Ach du meine Güte! Ich hoffe es geht deinem Sohnemann schnell wieder besser! ❤️ Ich wäre vermutlich im Dreieck gesprungen vor lauter Nervosität ?
    Hoffe ihr könnt euch noch von diesem Schock erholen, bevor der Alltag ruft?

    Alles Liebe ?

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