Quasi automatisch um jeden meiner Geburtstage rum mache ich eine Art Bestandsaufnahme. Also ich schreibe keine Listen mit Besitztümern (die wäre eh überschaubar) oder erbrachten „Leistungen“. Aber ich horche in mich rein und frage mich intensiv: Bin ich da, wo ich hinwill? Bin ich zufrieden, was brauche ich noch auf dem Weg zu meinem persönlichen kleinen Glück?
Ich bin zufrieden, ja!
Ich habe eine tolle Familie, Freund_innen die ich zwar viel zu selten sehe aber die immer für mich da sind. Mit denen ich gerne Zeit verbringe. Die mich gut kennen, gut genug um bei meinem Farbwechsel zu den blauen Haaren nicht zu fragen, ob ich ne Midlife Crisis oder eine andere persönliche Krise hätte. „Steht Dir gut!“ sagen sie.
Beruflich habe ich einige Hebel in Bewegung gesetzt um meine berufliche Situation 1. mehr auf das auszurichten, was ich kann und was ich gern tue und 2. so zu verändern, dass aus dem wackeligen Konstrukt von Berufstätigkeit (vom Mann und mir), Kinderbetreuung und Zeit für mich ein stabiles Fundament geworden ist, von dem wir alle profitieren. Ich bin sehr froh in der privilegierten Situation zu sein, mir dafür Zeit nehmen zu können und bald hauptsächlich das tun zu können, was ich immer tun wollte. Das bürokratische drumherum nervt mich tierisch aber da es schlichtweg dazugehört versuche ich einfach stoisch voran zu gehen. Ein Geschäftskonto ist beantragt, ebenso warte ich auf Rückmeldung vom Gewerbeamt, ob es mit meiner kryptischen Beschreibung meiner Tätigkeiten etwas anfangen kann. Nur die Zeit, die erscheint mir viel zu wenig. Jetzt könnte der Tag meinetwegen doppelt so viele Stunden haben!
Im Umgang mit den Kindern merke ich, wie gut mir das alles tut. Zwar leben wir nicht streitfrei, aber doch wesentlich gelassener insgesamt.
Ich organisiere unseren Familienurlaub für dieses Jahr und bin voller Vorfreude. Im Juni fahren wir drei Wochen weg und ich versuche im Sommer noch eine Woche irgendwie unter zu kriegen. Mein Fernweh möchte ich so richtig ausleben…
Ja, ich bin mehr als zufrieden, fast glücklich.
Wovon ich mich befreit habe
- von der Sorge, was Andere von mir denken. Naja, ganz frei bin ich nicht von solchen Gedanken, aber ich kann sie gut im Zaum halten. Denn natürlich ist mir die Meinung meiner Liebsten wichtig. Aber nicht mehr so wichtig, dass ich immer darauf Rücksicht nehme.
- Der Mann hat zum Beispiel kein Problem damit, vegetarisch zu kochen. Vegan kann er inzwischen auch ganz gut, aber manchmal grummelt er schon. Ich nehme das Grummeln halt in Kauf und koche zur Not selber. Ich muss Niemandem Umstände machen aber wenn vegan mein Weg ist, dann ist das so.
- von Neid und Vergleichen. Auch hier: völlig frei wäre übertrieben. Obwohl – Neid habe ich schon lange nicht mehr gespürt. Vergleiche sind dagegen ja auch oft hilfreich und so schaue ich schon: Was machen/schaffen/haben andere wie erreicht und finde ich das für mich (und meine Familie) erstrebenswert? Ich konzentriere mehr auf das, was ich für mich/uns brauche und will. Nicht mehr auf das, was theoretisch vielleicht möglich wäre.
- Auch ich träumte lange von einer Weltreise mit Mann und Kindern. Dachte ich. Aber eigentlich will ich keine große Weltreise am Stück, um anschließend „normal“ weiter zu machen. Lieber sorge ich dafür, dass wir öfter mal weg fahren, die Ferien nutzen. Mehrere Auszeiten als eine Große. Und es muss für mich auch nicht mehr Thailand oder Bali sein, seit ich Strände wie die auf Ibiza & Formentera gesehen habe…
- von Perfektionismus und der Angst vor Fehlern. Vieles von dem was ich in Zukunft mache hab ich vorher noch nie gemacht. Aber die Ideen sind gut, da ist ne Marktlücke und ich WILL es umsetzen. Für Einiges habe ich tolle Mitstreiterinnen. Aber insgesamt schmeiß ich mich ins kalte Wasser und kraule einfach drauf los. Und ja, die Angst zu versagen ist riesig. Aber ich weiß: Wenn ich es nicht tue wird mich das noch viel mehr auffressen als ein Scheitern meiner Projekte. Denn das Mindeste was ich tun werde ist Lernen. Zur Not für weitere Projekte die ich vielleicht für Andere dann umsetzen kann.
Trotzdem ist hier und da der Lack ab
Mehr Augenringe, mehr Bauchspeck, mehr Schlafbedürfnis – und dennoch habe ich schon lange nicht mehr so gern in den Spiegel geschaut. Ich schminke mich mehr, beziehungsweise öfter als früher. Nicht um Makel zu kaschieren. Sondern aus Spaß an den Farben und Möglichkeiten. Und weil ich keine Angst mehr habe, dass der rote Lippenstift meine schiefe Unterlippe betont oder meine krummen Zähne. Und wenn ich auf der Waage stehe seufze ich und denke an mein 17 jähriges ich, dass 15kg weniger wog und sich trotzdem zu fett fand. Himmel…
Aber da sind auch noch Wut und Angst
Nicht auf mein Leben bezogen. Also nicht auf das Stückchen, was sich um mich dreht. Sondern auf die Welt, das große Ganze, der ganze pathetische Scheiß. Rassismus, Rechtsruck, Umweltverschmutzung, Tierquälerei, Flucht und Krieg, Krankheiten. Das lässt mich einfach nicht los und ja, manchmal hindert es mich am Einschlafen. Ich versuche zu tun, was ich kann: Hier und da Geld spenden, mich bei der DKMS registrieren, vegan leben und müllfrei einkaufen. Ich bin auf der Suche nach einem Ehrenamt, aber finde es grad schwierig unter meinen zeitlichen und auch nervlichen Möglichkeiten etwas zu finden. Dieses „nicht die ganze Welt retten können“, so albern dieses Gefühl auch ist, dämpft meine Laune manchmal sehr. Ich klicke und zappe alles weg, was mich damit konfrontieren könnte und ärger mich gleichzeitig, dass ich diesen Luxus ausnutze: Einfach wegklicken, wegsehen zu können. Aber wer ist schon päpstlicher als der Pabst und wenn sich hier beruflich vielleicht etwas Routine setzt sehe ich vielleicht auch wieder das ein oder andere Zeitfenster für Aufgaben, die sich nicht um mich und meinen Nahbereich drehen.
Carpe Diem
Ich hab keine Kristallkugel. Manchmal macht mich das sehr froh. So weiß ich nämlich nicht, ob ich 42 oder 95 Jahre alt werde. Die Kunst ist vermutlich, den Balanceakt zu finden, das Leben einerseits so zu führen, als hätte man nur noch ein paar gute Jahre. Und immer wenn ich lese, ein Mensch im besten Alter wird von einer Krankheit oder einem Unfall dahingerafft überlege ich mir sehr gut, was für mich wichtig wäre – was ich getan haben will wenn ich mit 42 schon auf dem Sterbebett läge, wer ich hätte sein wollen. Und andererseits könnte ich ja 95 werden und dann habe ich noch genug Zeit um die 18 Bücher zu schreiben deren Titelentwurf in meinem Notizordner sind und dann wäre auch noch genug Zeit um alle Windsurfstationen der Welt zu testen und überhaupt.
Vielleicht ist die Chance ewig zu leben ja wirklich zum Greifen nah, wie Spiegel und Zeit grade titelten. Und vielleicht sollten wir grade deshalb so leben, dass es auf dieser Welt lebenswert bleibt. Ob dann irgendwelche Idioten und Despoten auf die Idee kommen, alles in die Luft zu jagen haben wir nicht in der Hand. Wenn bis dahin mein Leben aber so weitergeht wie bisher kann ich nicht klagen.
Ich stehe gerade am Scheideweg. Wir werden sehen wo es mich hinverschlägt. ♡ alu
Ich habe mich in vielem wiedergefunden, was du schreibst. Zum Beispiel war mir früher auch kein Reiseziel zu weit – oder eher: je weiter weg, desto besser. Und jetzt freue ich mich so darüber, meine Umgebung oder vielleicht mal die Nachbarländer zu entdecken (wobei ich trotzdem nicht nein sagen würde zu weiten Reisen…). Und lieber immer mal wieder Reisen, satt Weltreise und dann von den Erinnerungen zehren – same here! Aber bei mir war eben auch früher der Traum von der Weltreise oder dem Auswandern da. Schön, wie sich nicht nur die äußeren Umstände sondern auch die innere Einstellung, Träume und Wünsche immer weiter verändern.
Was ist denn eigentlich dein beruflicher Weg und Plan im Moment, oder hast du das hier auf dem Blog schon erzählt? Es klingt jedenfalls spannend und ich würde gerne die ganze Geschichte erfahren – so weit wie du sie teilen möchtest;-)
Oh, und auch wenn es überhaupt nicht zum Post passt (aber ich kommentiere so selten, da muss ich gleich mal alle meine Mitteilungen hier rein packen) – irgendwann hast du mal angekündigt, vielleicht mal über positive Kinderbücher zu schreiben. Also solche, die die Welt vielfältig darstellen. Da deine Kinder so alt sind wie meine, wäre ich sehr gespannt auf so eine Liste (oder auch einfach mal nur ein Buch – vielleicht auch einfach nur auf instagram).
Alles Liebe, Kerstin
Ich hatte auch den Traum vom Auswandern. 2007 hab ich dann ein Auslandssemester gemacht und war anschließend ein wenig geheilt. Ich glaub, da kam das erste Mal auf, dieses „es geht gar nicht ums einmal weg und dann Alltag“ sondern um das „öfter was Neues“, so ungefähr.
Meinen beruflichen Weg verblogge ich noch, da grad noch ein paar Dinge ungeklärt sind und andere Personen betreffen warte ich noch, bis das in trockenen Tüchern ist. Aber mir juckt es selber in den Fingern endlich loszuschreiben!
Das mit den Büchern war ich? Es gibt schon ein paar tolle Listen, wenn Du sowas wie „diverse“ Kinderbücher meisnt. Zum Beispiel https://memyselfandchild.mom/2014/03/25/representation-matters-einige-links/
http://mama-notes.de/kinderbuecher-ueber-vielfalt-toleranz-und-anders-sein/ und https://fuckermothers.wordpress.com/2015/10/24/kinderbuecher-jenseits-der-rollenklischees/
Oder meinst Du was anderes? Danke fürs Kommentieren, ich freue mich immer so, wenn jemand hier kommentiert und nicht bloß auf fb oder twitter! LG
Es klingt sehr schön, wie du über dein Leben schreibst. 🙂 Ich bin auch froh, dass ich in den letzten Jahren einige mögliche, aber für mich überhaupt nicht passende Lebensentwürfe aussortiert habe. Das reduziert den Neid enorm – wenn man nach und nach herausfindet, was sich für einen selbst wirklich gut anfühlt und was so gar nicht (nee, Weltreise muss bei mir auch nicht sein).
Dass Wegklicken Luxus ist, finde ich perfekt ausgedrückt. Mir geht es sehr oft so, wenn ich Nachrichten höre und erst recht, wenn ich sie sehe. Ich mache innerlich komplett zu, schalte ab, will sie nicht an mich ranlassen. Weil ich sonst Angst, Panik und Hilflosigkeit spüren und meinen Tag nicht mehr ohne weiteres fortsetzen könnte. Seit ich Mutter bin, ist das noch viel schlimmer geworden. Und gleichzeitig fühle ich mich jedes Mal schlecht dabei, denn wenn das alle so machen… .
Liebe Grüße!
Ja, ich denke auch wenn das alle machen passiert wenig…darum ist es mir so wichtig konkret auch was zu suchen, wo ich persönlich was bewegen kann, wenn auch nur im Kleinen. Erst dann kommt man aus dieser „Ohnmacht“ raus. LG
Schön was du schreibst. Ist es nicht schön, dass man die jugendliche Unruhe (ich nenn das jetzt einfach so) ein bisschen hinter sich lassen kann?
Ich bin jetzt 39. Ich hab in keinem Alter so gern in den Spiegel geschaut wie heute. Kinder und Familie sind toll, mein Freunde und das Umfeld auch. Nur beruflich, da spüre ich, wie ich mich gerne nochmal verändern möchte. Aber wohin? Das weiß ich noch nicht.
Viele Grüße ☺️