#CoronaElternrechnenab -Von der Beförderung zur Kündigung

Liebes Kultusministerium NRW,

am 16.03.2020, ein Montag, wachte ich morgens mit einem komischen Gefühl auf. Erst dachte ich, es läge daran, dass mein Sohn Geburtstag hat. Seinen neunten. Aber nein, Geburtstage kannte ich, dieses Gefühl hier war neu. Irgendwann dämmerte es mir:

ICH WURDE BEFÖRDERT!

Stimmt. Ab da war ich Lehrerin und Beamtin auf Zeit. So muss es sein, denn die Mail der Grundschullehrerin meines Sohnes beinhaltete einen ordentlichen Anhang mit vielen vielen Aufgaben, schön auf Papier, zum Ausdrucken.

Jeden Tag drei Stunden sollen sich die Kinder mit dem Material beschäftigen, bei Fragen stünde man zur Verfügung, tschüss, bleibt gesund!

Bäm, Homeschooling. Das hab ich mir, ehrlich gesagt, anders vorgestellt. Mit Unschooling und Freilernen habe ich mich mal beschäftigt. Als Plan B, weil ich Angst vor der Schulzeit meiner Kinder hatte. Das Unschooling und Freilernen sieht aber komplett anders aus. In etwa so, wie das, was meine Kinder in ihrer Freizeit tun. Irgendwelche Physikershows, Mausvideos und wasweißich auf youtube gucken und dann Experimente nachstellen. Was ist was über Fliegen oder Augen gucken und dann fängt ein Kind hier an, aus Klopapierrollen Fliegenaugen zu basteln.

Das Bearbeiten von Arbeitsblättern mit Plus und Minusaufgaben war da nicht so präsent. Aber gut. wo war ich?

Drei Stunden täglich also. Macht 15 Stunden die Woche. Was verdiene ich da so als Lehrerin? Laut Übersichtstabelle* macht das 1768 brutto pro Monat. Nicht schlecht. Dazu rechne ich 15 Stunden als Erzieherin, denn parallel zum Homeschooling des Grundschülers habe ich ein Vorschulkind. Das macht 1381 brutto pro Monat. Wir Erwachsenen teilen uns die Aufgaben und somit auch das Geld. Gemeinsame Kasse und so.

Homeschooling und Homekita-ing kosten:

Drucker, Tintenpatrone, erhöhter Stromverbrauch – ich hab heut nen Großzügigen und rechne das irgendwo bei der Steuererklärung mit ab.

Macht für aktuell zwei Monate: 6298,00 Euro Brutto

Ich weiß, andere kommen auf beeindruckendere Zahlen, aber ich wäre mit dieser Summe schon ganz zufrieden – für 15 Wochenstunden kann man nicht meckern.

Die Rechnung, liebes Kultusministerium, folgt.

Worum es eigentlich geht:

„Aber das ist doch keine Arbeit!“ – Schließlich sind es die eigenen Kinder und die liebt man doch und überhaupt. Das kann man ja gar nicht in Geld beziffern! Vermutlich denken sowas Leute, die ihre Lohnarbeit als sehr schrecklich erleben und das damit verbundene Gehalt als Schmerzensgeld betrachten. Vielleicht.

Und ganz ehrlich, ich würde das alles auch umsonst tun. Also genau genommen mache ich das auch, das mit der Beförderung war wohl nur ein Traum.

Ich würde es sogar gerne umsonst tun, wenn

  • sich der Wert eines Menschen nicht an seiner Lohnarbeit bemessen würde. Ist aber so und finanzielle Unterstützung – gleich ob Elterngeld, Arbeitslosengeld, Krankengeld, Rente…you name it – bemisst sich immer am Gehalt. Das Gehalt gibt es nur für Lohnarbeit, nicht für Carearbeit. Finanzielle Absicherung wird mir nicht zuteil, weil ich mich um Kinder oder kranke Angehörige kümmer, sondern weil ich. mich um den Erfolg eines Unternehmens kümmere.
  • die Gesellschaft nicht dauernd betonen würde, dass sie Steuer- und Rentenzahler’innen braucht. Nun, zwei davon liefer ich. Aber bis die wirklcih mal zu Steuer- oder Rentenzahlern werden werde ich mit ihrer Versorgung allein gelassen.
  • der Staat mir nicht eine Schulpflicht aufgebrummt hätte, sich aber nicht darum kümmert, wie das von ihm bestellte Personal auch in dieser Zeit sinnvoll mit den Schüler_innen umgehen kann. Was hier grade passiert, hat mit Schule nichts zu tun.
  • diese Gesellschaft Familie und Kinder genau so wertschätzen würde wie Fußball, Spargel und Autos
  • man nicht der Lufthansa ein Rettungspaket schicken würde, sondern Arbeitgeber auffordern würde, allen Sorge-arbeitenden in ihrer Firma 10 Wochenstunden zu erlassen, und den finanziellen Ausgleich dafür zu übernimmt.
  • es ein Gesundheitssystem gäbe, das nicht wirtschaftlich, sondern sinnvoll funktionieren müsste.

Den Wert von Carearbeit in Euro zu beziffern ist nur ein Teil dessen, was nötig ist um die Bedürfnisse und die Arbeit von Carearbeitenden sichtbar zu machen. Um die Brücke zur Wirtschaft zu schlagen. Was fehlt, sind die Kosten die entstehen, wenn immer mehr Carearbeitende, meistens Mütter, der Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie aufgrund dieser Arbeit ihre Lohnarbeit kündigen müssen. Weil sie ohne Kinderbetreuung dieser nicht mehr nachgehen können.

Was sich nicht niederschlägt ist die Erschöpfung, die viele schon jetzt spüren. Die nicht wieder aufgefangen wird. Und die sich auch nicht mit einer Mutter-Kind-Kur „behandeln“ lässt.

Was sich nicht niederschlägt, ist ein Familienbild, dass Ein-Eltern-Familien immer und immer wieder übersieht.

Aber das können andere Aktionen übernehmen. Corona ist noch nicht vorbei. Coronaeltern arbeiten, auch nachdem andere schon lange Feierabend haben.

Ein Familienministerium und ein Gesundheitsministerium, die am Muttertag mit einem billigen Social Media Post genau am Thema vorbei liegen, sind ein Armutszeugnis – für diese Gesellschaft.

P.S.: Liebes Kultusministerium, vielen Dank für die Beförderung, aber ich lehne ab!

_________________

Auf diese Aktion aufmerksam gemacht hat mich Sonja von mama-notes, nachdem ich am Muttertag auf instagram meine Genervtheit kund getan habe. Zusammen mit Rona und Karin hat sie diese Aktion ins Leben gerufen. Unter #Coronaelternrechnenab findet ihr mehr auf twitter, facebook und instagram.

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