Disclaimer: Wir befinden uns im Januar 2020, eine Woche, nachdem ich den Knoten ertastet hab.
Mein Gynäkologe hat mir direkt einen Termin im Krankenhaus gemacht, zur Biopsie des Gewebes. Auch wenn sich alle einig scheinen, dass es ’sehr ernst‘ ist, kann nur eine Gewebeentnahme Gewissheit bringen.
Ich warte am frühen Morgen auf dem langen Flur der Klinik. Dr. W. kommt mir gut gelaunt entgegen. Er erklärt mir, was jetzt gemacht wird: Er tastet erst mal meine Brüste ab. Mit seinen Händen, mit dem Ultraschallgerät. Er findet den Knoten schnell. Und sieht auch noch zwei Kleinere, direkt daneben. Auch ein Lymphknoten gefällt ihm gar nicht.
Aller guten Dinge sind drei, sage ich.
Erst wird die Stelle auf meiner Brust betäubt. Dann kommt eine größere Nadel für die Gewebeentnahme. Auf dem Bildschirm verfolge ich den Weg der Nadel in dieses Gewirr von unkontrollierten Zellen und wieder heraus.
So, sagt Doktor W.
Danke, sage ich brav.
Auch Doktor W. ist sich ziemlich sicher, dass es sich um einen ‚malignen‘, also bösartigen Tumor hält.
Bevor ich mich wieder anziehe, soll ich mich noch mal hinstellen. Er macht mit einem Tablet Fotos von den Stellen, die er mit einem Stift markiert hat.
„Die Fotos tun sie aber nicht auf facebook, ne?“ witzel ich. Doktor W. sagt nur „ich bin nicht bei facebook“ und verzieht keine Miene. Vermutlich wird hier nicht oft gewitzelt und ich frage mich gleichzeitig, warum ICH versuche hier die Stimmung aufzulockern. Vermutlich hat er das jeden Tag. Jeden Tag Menschen, denen er sagt: „Tut mir leid, Sie haben Krebs.“
Na gut, streng genommen tut er das (noch) nicht. „Da müssen wir jetzt die Ergebnisse der Pathologie abwarten. Aber operieren müssen wir sehr wahrscheinlich. Leider ist der nächste freie Termin erst in zwei Wochen.“ Er guckt Verständnis suchend, ich wohl ziemlich überrascht. „Oh, in zwei Wochen schon. Ok, das geht aber schnell.“ Ich denke an den Job, an Kinder, den ganzen Mental Load den man ja auch ein halbes Jahr im Voraus mit sich trägt und plane in Gedanken, wie da jetzt ein Krankenhausaufenthalt reinpasst.
Ausschluss
Er bringt mich zur Breast Health Nurse, die passenderweise den Namen Frau Helfer hat. Frau Helfer druckt mir alle Termine aus, für die ganze weitere Diagnostik. Knochenszintigramm, Leber-CT, irgendwas mit Lunge und Hirn.
Wofür das alles? frage ich.
Zum Ausschluss von Metastasen, sagt Frau Helfer nüchtern, aber nicht kalt.
Zum ersten Mal spüre ich einen Hauch von Panik. Das war jetzt ein schneller Übergang von „ganz sicher kann das nur die Pathologie sagen“ zu „vielleicht ist der Tumor in meiner Brust nicht das Hauptproblem“. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel über Brustkrebs, aber dass Metastasen die Prognose nicht besser machen, das weiß ich sehr wohl.
Eine Woche später sitze ich wieder bei Dr. W., die Auswertung der Gewebeanalyse ist da. Er erklärt mir die Bedeutung der einzelnen Werte. Irgendwas mit Hormonrezeptoren, Teilungsgeschwindigkeit von Zellen, Tumorzellen in und außerhalb von Milchgängen. Auf meine Bitte hin gibt er den einzelnen Faktoren Schulnoten. Aber er sagt, dass man die Teilnoten nicht einfach zu einer Gesamtnote zusammen fassen kann, es sei etwas komplexer. Am Ende habe ich gefühlt ein befriedigend plus. Aber so richtig sagen könnte ich das nicht. Ich versuche Zwischentöne, Blicke, Nebensätze zu interpretieren, aber es fällt mir schwer. Er schaut manchmal ermutigend, manchmal will er wohl mitfühlend gucken, ich kann es nicht deuten, mitfühlend gucken, das macht mir Angst, denn das heißt, dass es Grund zur Sorge gibt. Aber was heisst das, Grund zur Sorge, klar, Krebs ist schlimm, aber Brustkrebs ist doch gut behandelbar. Ich werde noch oft den Eindruck haben, dass ich Krebs anders fühle, als andere. Aber jetzt erst mal Fokus auf die nächsten Schritte: Ausschluss weiterer Metastasen und den Tumor chirurgisch entfernen lassen.
Die anderen Untersuchungen, die CTs, das Szintigramm, laufen viel tonloser ab, in den Spezialabteilungen, in der Radiologie. Überhaupt scheint mir die Radiologie ein eigener Kosmos im Krankenhaus, ein spezieller Schlag Mensch. Ich glaub, bei der Szintigrafie muss ich eine Flüssigkeit trinken und bekomme gesagt, dass ich mich ein paar Tagen von kleinen Kindern fern halten soll. Ich muss also dem Kind, dass noch regelmäßig zu uns ins Bett kommt und viel kuschelt sagen, dass Mama das grade nicht darf. Zum ersten Mal steht da diese Krankheit zwischen mir und meinen Kindern.
Ich bin in diesem Stadium ein Objekt, eines, das untersucht werden muss. Dem das Innere durchleuchtet wird und ich fühle mich tatsächlich etwas ‚auseinandergenommen‘ nach den Terminen. Zumal ja auch danach nie eine konkrete Antwort a la „alles gut“ oder eben „oh oh“ wartet. Ausziehen, auf die Liege, durchleuchten lassen, aufstehen, anziehen und von vorn. Robota-robota-robota.
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Das Beschriebene ist zwei Jahre her. Über meine Krebserkrankung konnte ich nur ansatzweise ‚live‘ schreiben. Darum kann es JETZT sein, dass ich manches nicht mehr akkurat wiedergebe. Manche Details habe ich noch sehr genau vor Augen, wie die Biopsie bei Dr. W.; die Untersuchungen in der Radiologie dagegen, die zeitlichen Abläufe, all das ist eher verschwommen.
Ich habs ja nicht so mit Mitleid, weil es oft ein schmaler Grat ist zwischen echter Anteilnahme und Floskeln oder schlimmer ‚falscher‘ Anteilnahme.
Ich wollte erst sehen, ob ich bleibe. Ob ich überlebe. Und hey, hier bin ich. Aber SPOILER einfach war und wird es nicht. Dazu ein anderes mal.