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ErziehungistdieHöllesinddieAnderen

Lange habe ich mir um Erziehung keine Gedanken gemacht. Ich war da pragmatisch: Ein bisschen Bauchgefühl und „so lang es funktioniert“ – das wird schon reichen. Ich hab keine Erziehungsratgeber gelesen und wenn, dann erschrocken zur Seite gelegt. Den Juul zum Beispiel. Drei oder sogar vier Bücher hatte ich zur Hand und bin der Meinung, man muss eigentlich nicht mal Feministin sein um sich zu fragen, welches Problem Juul mit Mädchen/Frauen/Müttern hat. Wenn ich mal Zeit ohne Ende habe lege ich Euch gern meine analysierten Textstellen aus seinen Büchern vor.

Im Studium habe ich ein paar „Klassiker“ gelesen und mich auch mit Jean Liedloff und co. beschäftigt (Continuum-Prinzip, sagt vielleicht einigen mehr). Aber auch da Skepsis, wie bei aller ethnologischer Forschung: Der durch eigene Erfahrungen und Sehnsüchte geprägte Blick aufs „Andere“ gelenkt, der Blick, der zu finden sucht, was er bei sich vermisst…  falls ihr versteht. Überhaupt diese Romantik gegenüber „Naturvölkern“ (darf man das überhaupt noch schreiben, auch wenns in Anführungszeichen ist?). Na ja.

Aber irgendwie haben sich im Alltag so viele unbefriedigende …Kommunikationsmuster? Verhaltensweisen? eingeschlichen, die ich selber nicht mehr ertragen habe. Das „Wenn Du nicht…dann…“ was mir gespiegelt mal besonders auffiel, als ich Minime im Kindergarten abholte und ihn in einer Situation traf, wo ein Mädchen zu ihm sagte „wenn Du  jetzt nicht mit mir spielst, lad ich Dich nicht zu meinem Geburtstag ein!“. Puh, Treffer! Woher haben die Kids das denn, wenn nicht von ihren Eltern und anderen Erwachsenen? Wie sehe ich überhaupt meine Kinder? Diese beiden Wirbelwinde, die mein Leben so bereichern, mich glücklich machen und doch so fordern? Wie finde ich einen guten Weg zwischen ihren und meinen Bedürfnissen? Ich glaube, das ist der Kern meiner Frage und warum, will ich ein bisschen konkretisieren:

Am Donnerstag fuhr der Mann beruflich weg und kommt erst Mittwoch nachmittag/abend wieder. Ich selber arbeite grade mit 30 Stunden und mache seit Donnerstag morgen nichts anderes, als zu lohnarbeiten oder Kinder zu betreuen. Klar, Müttern brauch ich nicht sagen was das heißt. Sehr früh aufstehen, weil es schon mal zweieinhalb Stunden dauern kann, bis man zwei Kinder und sich so weit hat, dass man das Haus verlassen kann. Und meist habe ich danach das Bedürfnis nach dem ersten Schnaps. Dann kommt aber der Berufsverkehr und ein Job der…naja, an anderer Stelle vielleicht. Dann die Kinder an zwei verschiedenen Orten abholen, einkaufen, bei gutem Wetter auf den Spielplatz, die Kinder nach Hause bringen, baden, essen…. ihr kennt das Programm. Seit der Zeitumstellung ist hier vor 21Uhr/21Uhr30 keine Ruhe. Anschließend Wäsche aufhängen, Küche putzen, aufräumen. Denn: es ist ja sonst keine_r da der das übernimmt. Vor 22:30 sitze ich selten und dann lieg ich auch wieder im Bett. Neben zwei schnarchenden Kindern. So süß und trotzdem wäre ich gern mal wieder einfach allein. Und dann klingelt der Wecker wenige Stunden später und es geht von vorne los.

Da schleudert man gerne mal Sätze im Stakkatoton gegen die Kinder, mein aktueller Lieblingssatz war „darüber diskutier ich doch jetzt nicht!“ Himmel! Ja, ich habe in den letzten Wochen viel über alternative Wege nachgedacht. Von beziehungsorientiert bis zu unerzogen und gewaltfreier Kommunikation, Adultismus undundund. Aber soll ich Euch was sagen? Die meisten Texte die ich dazu fand klangen, als seien sie entweder von Robotern oder von Menschen mit Heiligenschein geschrieben worden!

So…perfekt, so lieblich, so frei von diesem Kurzschluss den ich manchmal in meinem Kopf herannahen sehe, wenn hier wieder alle was von mir wollen und ich nur meine Ruhe. Da frag ich mich, in welchen Zaubertrank die als Kinder gefallen sind! Man solle in solch stressigen aber doch wohl wirklich normalen Situationen – es sind halt Kinder! – einfach mal durchatmen.

ICH ATME SO SCHNELL DURCH DASS ICH HYPERVENTILIERE!

Ja, solche Texte sind für mich keine Hilfe, sie frustrieren mich noch mehr. Ist natürlich meine Schuld, denn die Texte sind hübsch zu lesen, klingen so einleuchtend und sooo leicht umzusetzen. In der Theorie.

Und dann ist Wochenende. Ich nehme mir vor, gaaaanz gelassen vorzugehen. Die Kinder wollen MausSesamstraßeSendungmitdemElefantenPeppaWutz gucken? Nehme ich gelassen. Die Musik-CD auf volle Pulle? Ich bitte höflich drum, etwas leiser zu machen da es mich stört. HAHA. Der Große möchte Süßigkeiten? Na gut, kommen die Kammelle von Karneval endlich weg. Beim Kleinen bahnt sich die Mittagsmüdigkeit an und ich versuche alles runterzufahren:

Kommt, wir legen uns ins Bett, gucken uns ein Buch an. Statt dessen wird das Bett zum Trampolin. Ich weise zum gefühlt 1000. Mal daraufhin, dass das Bett kein Trampolin ist, ich jetzt Ruhe brauche und wer nicht schlafen möchte, sich wenigstens mit einem Buch oder einer Flasche ruhig hinlegt. NAAAANANANAAAANA. Gut, dass haben die Kinder nicht gesungen, ich höre aber eine laute Stimme in meinem Kopf. Die Kinder machen weiter. ARRRRRGH. Ich brauche diese Mittagsruhe! ICH brauche sie. Ja, der Kleine eigentlich auch, sonst wird es spätestens ab 16 Uhr ungemütlich hier.

Kind2 klettert auf die Fensterbank und springt aufs Bett. Erster Ausraster meinerseits. Und wo ich schon mal dabei bin kann ich auch ein bisschen rumfluchen. Ich verlasse fluchtartig das Schlafzimmer, in die Küche. Ich brülle noch: „Ich brauch ne Auszeit!“ Tja, Kind1 kommt feixend hinterher, Kind2 weint, weil mein Verhalten ihn ängstigt. Tolle Wurst. Das hab ich super hingekriegt! Ich könnte jetzt weiter ins Detail gehen, aber ich glaube, das Prinzip ist klar? Ach ja: Nachdem ich den Gedanken mit dem Mittagsschlaf aufgegeben habe wollte ich rausgehen. Eine Freundin lud ein, das Wetter war schön und generell ist draußen und mit anderen (Erwachsenen) alles viel leichter zu ertragen. Tja, direkt nachdem ich sagte „Minime, zieh Dich bitte an, wir wollen raus“ fiel dem Kind, dass sich angeblich den ganzen Morgen langweilte ein, dass es jetzt unbedingt spielen müsste. (Als wir draußen waren, war alles super, aber die anderthalb Stunden bis wir so weit waren möchte ich hier nicht im Detail wieder geben).

Ist unerzogen jetzt gescheitert? Vielleicht. Vielleicht hab ichs nicht verstanden. Ganz sicher passen unsere aktuellen Rahmenbedingungen nicht dazu. Aber in meinem Kopf ist so vieles nicht mehr wie vorher, dass ich auch nicht mehr (ganz) zurück kann. Prinzipiell sehe ich meine Kinder nicht als Gegner oder Tyrannen. Ich sehe grade nur keine Luft für mich! Und ich sehe sie auch noch nicht als kooperierende Menschen auf Augenhöhe.

Es werden ja immer gerne diese Beispiele herangezogen a la: So würdest Du doch auch nicht mit Deinem Partner_in sprechen, wieso sprichst Du dann so mit Deinem Kind?“ Aber ganz ehrlich? Würde mein Partner mich anschreien würde ich bestimmt nicht so viel Geduld aufbringen, als wenn meine Kinder mich anschreien. Würde mein Partner mein Essen kommentieren mit: Das ist blödes Kackessen! dürfte er ab sofort ganz allein für sich kochen. Ich rede mit meinem Partner anders, weil er sich anders verhält als meine Kinder.  Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen? Kinder müssen doch auch Kinder sein dürfen und nicht Erwachsene? Wo ist dieser Grat?

Nachdem ich diesen Text anfing zu schreiben, flog mir ein anderer in die Timeline, in der eine „unerzogen-Mutter“ darüber schreibt, dass sie eben weder Roboter noch Engel ist. Und ich hoffe, dass es mehr solcher Texte geben wird. Und habe auf twitter schon mal rumgefragt nach anderen unerzogenen, ob sie mir Rede und Antwort stehen wollen, bei meinen ganz konkreten Fragen zu ihrem Alltag. Wie man mit Geschwisterstreit umgeht, mit verschiedenen Bedürfnissen der Familienmitglieder und dem Gefühl das man kriegt, wenn man die einzige Mutter auf dem Spielplatz ist, deren Kinder barfuß laufen und Schokolade essen dürfen…falls ihr auch so jemand seid, schreibt mich gerne an, ich sammle die nächsten Tage ein paar Fragen für die Interviews zusammen!

Und hier noch ein paar Bilder vom Wochenende. Schön war es nämlich doch:

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Mittagessen der Kinder…

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Glitzerkugel oder was? #Dailymakro

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