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Wie mein Kind ein Junge wurde – Part 2

Minime ist inzwischen dreieinhalb. Vor gut einem Jahr beschrieb ich meine Beobachtungen, wie aus ihm ein Junge gemacht wird: Durch Interpretation seines Verhaltens, Auswahl seiner Geschenke und Anziehsachen und so weiter. Inzwischen ist Minime ein kleiner Mensch, der durchaus selber kommunizieren kann und ich sehe plötzlich, dass es nicht nur „Erwartungen“ sind, die an ihn heran getragen werden, ich sehe oft deutlich, wie seine Bedürfnisse und Wünsche ignoriert werden, wenn sie nicht den geschlechtsspezifischen Anforderungen entsprechen. Oft tut es mir richtig weh, wenn ich sehe, wie er versucht, einen Wunsch oder ein Bedürfnis zu formulieren und dieses ignoriert, übergangen oder lächerlich gemacht wird. Ein paar konkrete Beispiele:

Im Schuhladen. Winterschuhe stehen auf dem Einkaufszettel. Wir sind in einem kleinen Laden für Kinderschuhe. Minime hat wenig Interesse, die Schuhe anzuprobieren, ihm gefallen scheinbar die tristen (Jungs!)Farben nicht. Neben ihm sitzt ein ca. 8 Jahre altes Mädchen und probiert Turnschläppchen an, wie wir (Mädchen) sie früher im Turnunterricht trugen. Mit Glitzer! Minime war fasziniert. „Ich will auch Glitzerschuhe!“ Ich merke sofort: Ich komm aus diesem Laden nicht raus und kriege ihn auch nicht dazu, was anderes anzuprobieren, bevor er solche Schuhe hat. Ich wende mich also an die Verkäuferin. Ihr Gesichtsausdruck überrascht mich: Sie wirkt peinlich berührt und versucht Minime zu überreden: „Aber probier doch hier mal die Schuhe, die sind besonders cool!“ Wie vermutet interessiert sich Minime grade nur noch für diese Glitzerschuhe. Ich sage „Ist schon ok, haben sie welche in seiner Größe?“ Jetzt kann ich den Gesichtsausdruck der Verkäuferin nicht mehr deuten. Glaubt sie, ich mein das nicht ernst? Ist sie verwirrt, schockiert? Sie versucht noch ein schwaches, an Minime gerichtetes „Komm, ich zeig Dir noch kurz…“ aber Minime steht schon wie versteinert vor dem Mädchen, dass die Glitzerschuhe anhat. Mit wunderschönen Glitzerschuhen verlassen wir doch noch den Laden.

Beim Kinderschminken. Minime möchte ein Schmetterling werden. Das sagt er, laut und deutlich. Der junge Mann, bei dem er sich zum Schminken anstellt, schaut – ja wie. Verdutzt? „Hier guck mal, möchtest Du ein Pirat sein?“ (Er deutet auf seine Vorlage). „Nein, ein Schmetterling!“ „Oder hier, hier habe ich einen Bären!“ Jetzt ist Minime überfordert. Er schaut wirklich so, als wenn er sich fragte, warum sein Gegenüber ihn nicht versteht. Ich werfe also ein: „Er möchte ein Schmetterling sein“ – Vielleicht braucht der junge Mann diese Legitimation meinerseits, aber endlich fängt er an, aus Minime einen Schmetterling zu machen.

Weihnachtszeit ist Geschenkezeit. Nikolaus waren wir bei Freunden zu einer Nikolausfeier. Die Eltern brachten kleine Geschenke mit, die in einen großen Beutel gesteckt wurden, die der „Nikolaus“ später verteilen sollte. Für Minime hatte ich ein Buch. Die Mädchen in der Runde bekamen fast ausnahmslos Feen und Pferde aus der Playmobil-Serie. Minime war hin-und-weg. Sein Buch fand er zwar auch toll, aber erst mal wollte er mit Feen und Pferden spielen. Es war gar nicht leicht, jemanden zu finden, der bereit ist, ihm Weihnachten eine kleine Fee mit Pferd zu schenken (wir hatten unsere Geschenke schon zusammen, sonst hätte ich es einfach selber gemacht).

Im Kindergarten. Ich hole Minime ab. Die Erzieherin und die Kita-Leiterin stehen neben uns und unterhalten sich über die kaputte Telefonanlage und wie sie weiter verfahren werden. Die Erzieherin sagt, sie würde noch einmal probieren, den Stecker rauszuziehen und wieder rein zu tun, ansonsten würde sie den Techniker anrufen. Die Kita-Leiterin dreht sich lachend um und ruft: „Ja ja, Frauen und Technik!“ Minime starrt ihr hinterher.

Die Liste ließe sich endlos weiter führen. Minime hat inzwischen ein Gespür dafür entwickelt, was „Mädchen“ und „Jungen“ dürfen. Er scheint zu verstehen, dass bestimmte Sachen und Verhaltensweisen für Mädchen ODER Jungen sind. Dann sagt er zum Beispiel: „Mama, ich bin jetzt ein Mädchen“, wenn er Haarspangen möchte. Und ich weiß nicht, ob ich ihm sagen soll, dass er einfach ein Junge ist, der Haarspangen trägt, oder ihm die Option „ich bin ein Mädchen“ einfach lasse. Am liebsten wäre mir, dass das überhaupt kein Thema sein müsste.

Fortsetzung: Der Tag, an dem die rosa Brotdose meines Sohnes zu Hause bleiben musste.

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Das Zweifarbenspektrum

Ich wollte Minimes Geschlecht vor der Geburt nicht wissen. Allein diese Tatsache führte u.a. zu zwei Beobachtungen:

1. Ein Fötus ohne Geschlecht ist kein Mensch

Oder andersrum: Erst mit der Bezeichnung ‚Mädchen‘ oder ‚Junge‘ wird es einer. So schloss ich aus einigen Reaktionen. Da war zuerst Minimes Paps. Er meinte, es wäre zu abstrakt, dass da was in meinem Bauch ist. Ehrlich gesagt, für mich wär es mit Geschlecht nicht weniger abstrakt gewesen. Ich mein‘, da bewegt sich plötzlich was in meinem Bauch und das soll ein kleiner Mensch sein – freaky genug, das wird nicht weniger dadurch, dass es das eine oder andere ist (davon mal abgesehen, dass Uneindeutigkeiten in der Imagination nicht vor kommen – „ist es ein Mädchen, Junge, oder was dazwischen?“)

2. Freund_innen und Verwandte können sich dadurch echt angepisst fühlen:

In welcher Farbe sollen sie denn dann Sachen kaufen – basteln – stricken – häkeln??? Babyblau und Babyrosa sind von meiner Seite eh verboten. Und seit wann gibt es nur diese zwei Farben? Zugegeben, bei unseren ersten Besuchen im ‚Babyfachgeschäft‘ sah ich die Problematik ein wenig. Da scheint es tatsächlich nur zwei Farben zu geben. Und Bärchen. Und Blümchen. Und sonst nur weiß, beige oder hellgrün. Wenn es nach Minimes Paps gegangen wäre, hätten wir eh alles in schwarz gekauft. Ist ja auch ganz findig von der Babysachenherstellerindustrie. Wird das erste Kind ein Junge, wird alles in babyblau gekauft, folgt als nächstes ein Mädchen hat man ja wieder Grund, alles noch mal, diesmal in rosa, zu kaufen.

3. Auch danach wird es nicht besser

Neulich auf dem Kinderflohmarkt stand ich vor einem süßen Zweiteiler. Dunkelgrüner, flauschiger Stoff, an Kragen und Füßen mit rosa Blümchen verziert. Ich ertappte mich selbst, wie ich vor mich hin sinnierte, ob man das Minime anziehen könnte, woraufhin die Verkäuferin und meine Begleitung den Kopf schüttelten. Das sei für Mädchen. Gekauft hab ich es trotzdem.

-> Einsicht: Diese Trennung der Babysachen in Mädchen/Junge dient doch am wenigsten dem Mädchen oder Jungen. Ich bezweifle das Minime in seinem Babyköpfchen Kommentare zu seinem Outfit abgibt.

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