Man muss es ja gleich vorweg nehmen: Ich bin kein bisschen gegen das Stillen. Stillen ist super wenn Mama und Kind damit zurecht kommen und glücklich sind und von mir aus kann jede Mutter bis zur Einschulung stillen. Und ich weiß auch, dass Langzeitstillende doofe Kommentare bekommen und ausgefragt werden. Nein, das finde ich auch nicht gut. Gut finde ich Privatsphäre, Respekt vor Entscheidungen (sofern es sich um Entscheidungen handelt) und der Anerkennung der Tatsache, dass Stillen oder Nicht-Stillen keine Basis für gutes oder schlechtes Eltern-Sein ist.
Ich persönlich habe nicht gestillt und wollte wildfremden Menschen und auch den meisten Bekannten nicht erzählen, warum nicht. Und finde bis heute, dass das auch niemanden was angeht, denn wie ich bereits schrieb, gibt es für das Nicht-Stillen zwei Gründe: Frau kann nicht oder will nicht. Punkt:
(…)
– ich will nicht. beziehungsweise würde ich nochmal eine große graue zone zwischen nichtkönnen und nichtwollen ziehen. und die füllen mit z.b. einem trinkunfreudigen kind. ich weiß, der laie denkt, stillen ist doch einfach – kind wird angestöpselt, trinkt und fertig! kein wunder, dass dann viele frischmamas erst mal gefrustet sind, wenn es nicht auf anhieb klappt. denn auch die babies tragen nicht immer zum stillerfolg bei.
Aufklärungsarbeit für das Stillen ist in dieser Hinsicht gut und wichtig und ich denke, durch die sich verschlechternde Situation der Hebammen wird es da wieder Rückschritte geben – bei Stillproblemen ist dann keiner da, den man schnell anrufen kann oder der bei den regelmäßigen Besuchen mal gucken kann, woran es liegt, von der Behandlung wunder Brustwarzen ganz zu schweigen. Oder die Leistung wird privatisiert (viele Stillberaterinnen rechnen nicht über die Krankenkasse ab) und Stillen bleibt den gut verdienenden vorbehalten. Und den ganz armen, für die teure Ersatzmilch keine Option ist. Stillen oder Nicht-Stillen als Auswirkung des Kapitalismus.
Genervt war ich auch von den vermeintlichen Pro-Still-Argumenten und finde es heute immer noch spannend, wie das gleiche Argument für die eine ein Pro- und für die andere ein Contra-Argument sein kann.
Ich will auch heute nicht über meine Gründe fürs Nicht-Stillen schreiben, aber Euch ein paar tolle Texte vorstellen, die zeigen, wie komplex auch das Thema Nicht-Stillen ist.
Nicole schreibt auf kleinerdrei – „Über verschüttete Milch weinen“ – über schwierige Anfangszeiten mit dem Baby, wie sie erst Stillen wollte, es aber anders kam, sie es dann mit Relaktation probierte und schließlich chillte statt stillte:
Ich fühlte mich trotzdem blöd, weil überflüssig, und das verstärkt durch die Erinnerung an superfiese Krankenhauserfahrungen. Auch wenn das Anliegen war, dafür zu sorgen, dass es mir nicht schlecht geht – was, wenn es mir schlecht ging, weil es mir ein schlechtes Gewissen machte? Und wo zur Hölle kam dieses schlechte Gewissen her? Warum bockte mich das plötzlich so?
und schließlich:
Wann ich mit meinem Versuch aufgegeben hatte? Ausgerechnet bei der Lektüre eines Heftes der La Leche Liga, nämlich Stillen eines Adoptivkindes und Relaktation. Einerseits, weil mir die Anleitungen darin meinen Versuch weniger aussichtslos erscheinen ließen, ich endlich den konkreten Rat bekam, nachdem ich suchte. Andererseits, weil ich ausgerechnet da drin las, dass es okay ist, wenn es nicht klappt. Of all places!
“Wird dem Baby […] etwas Wesentliches für seine Gesundheit und sein Lebensglück vorenthalten[, wenn es nicht gestillt wird]? Wahrscheinlich nicht, besonders, was die psychologische Seite anbelangt. Das Stillen ist eine gute Möglichkeit, in die Mutterrolle hinein zuwachsen. Die Muttermilch ist am besten auf das Baby abgestimmt, aber gesunde und zufriedene Babys lassen sich auch mit der Flasche großziehen. Daß Sie das Stillen – sogar unter erschwerten Bedingungen – in Betracht gezogen haben, spricht dafür, daß Sie wahrscheinlich besonders empfindsam gegenüber den Bedürfnissen Ihres Kindes sind.”
BOOM. Der letzte Satz mitten hinter die wunde Brust. Ein Satz, der meine Mühen ernstnahm, mir das Gefühl nahm, nicht gut genug zu sein. Ich entspannte mich, ließ los und hatte den Mut, aufzugeben. Und es war genau richtig so.
Der ganze Artikel ist unbedingt lesenswert!
Carola von frischebrise kennt ihr bestimmt. Auch ihre Stillversuche verliefen nicht glücklich und sie entspannte erst, als sie mit der Flasche fütterte. Bewölktes Glück nannte sie ihren Post:
„In mir drin gab es keine Regungen. Das Schreien meines Kindes drang wie durch dicke Watte zu mir durch. Ich hörte es, fühlte mich aber unfähig, zu reagieren. Mein Baby hatte Hunger und wollte gestillt werden. Ich wurde gebraucht. Dabei wollte ich doch nur meine Ruhe haben. Die unendlichen Schmerzen beim Stillen bestimmten meinen ganzen Tageslauf. Alle paar Stunden wieder. Und wieder. Und wieder. Und wieder. Und die Schmerzen nahmen jeden Tag zu. Wie Rasierklingen durchschnitten sie meinen Körper. Sie zogen von der Brust bis in die Fußspitzen und wieder zurück. Es war wie Folter. Mein Baby interessierte mich nicht. Ich hatte Angst vor ihm. Ich wollte nur noch, dass das alles irgendwie endet.“
Auf Alltagsschrott erzählt Tanja von ihrem buchstäblichen Stillmarathon. Und fragt sich, ob der Zweck die Mittel heiligt:
„Selbst damit zurecht zu kommen und mit dem Thema Stillen abzuschließen ist schwierig genug. Noch schlimmer machen es die Kommentare und Sichtweisen anderer. Da gibt es Mütter, die das Stillbuch gelesen haben, selbst einige Wochen stillen und vielleicht noch jemanden kennen, der jemanden kennt, der stillt, und der Meinung sind, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gegessen, könnten – hätten gar das Recht – über andere urteilen. Mütter, die einem vorwerfen man habe ganz sicher etwas falsch gemacht. Man habe nicht durchgehalten. Man habe nicht den Biss. Man habe nicht alles ausprobiert. Man wollte ja eigentlich gar nicht, würde Gründe nur vorschieben. Denn JEDER KANN STILLEN.
Ich bin ehrlich: Diese Urteile machen mich wütend. Wie kann sich jemand anmaßen, über mich zu urteilen? Zu beurteilen, ob ich genug getan habe? Ob ich es wirklich versucht habe? Ob ich es wollte? Und wenn dann noch Kommentare kommen wie „mein Baby hat auch gebrüllt“ und im gleichen Atemzug erwähnt wird, wie schlimm es für sie ist, wenn ihr Baby weint und sie nicht wissen, wie sie ihm helfen sollen, könnte ich platzen.“
Dank Kerstin von chaoshoch2 bin ich noch über diesen Text von nieselprim gestoßen: Wo Milch und Tränen fließen:
Und wie oft ich das selber fragte: “Stillst du noch?”. Ja, ich habe meine ganz eigenen Anteile an diesem Thema! Wieso rutscht selbst mir diese bekloppte Frage raus? Weil ich hören will, dass mein Gegenüber erklärt, dass es eigentlich Scheiße läuft und ihr die Nippel weh tun und die Milch nicht fließen will? Weil ich mich dann ein bisschen weniger unzulänglich fühlen kann? Ist das armselig? Und wie.
Und der Vollständigkeit halber und weil es so herrlich schnodderig ist ein Text für die möpslich-mütterliche Selbstbestimmung von kiddothekid.